Und wenn nicht jetzt, wann dann? Corona zwingt mich, Dinge zu tun, die ich mir nie hātte vorstellen können – wie zum Beispiel vor eine Fernsehkamera zu stehen. Dem Ganzen voraus ging eine Einladung des Schweizerischen Gewerbeverbands, die ich mit einer Mail ausgelöst habe. Inhalt dieser Mail war, dass die Grenze nach Deutschland bald wieder öffnen und sich die Lage für uns als Grenznahes KMU-Reisebüro mit dem Buchungstourismus nochmals verschärfen würde (und meiner Meinung nach Grund für eine Reportage wäre). Dass ich kurz darauf eine Einladung für eine TV-Show mit schweizweiter Ausstrahlung bekam war, lag fernab meiner Vorstellungskraft. Eigentlich habe ich maximal mit einem kleineren Zeitungsabschnitt in der Gewerbezeitung gerechnet.
Im Talk von Fokus KMU, einer Sendung des Schweizerischen Gewerbeverbands die u.a. auch auf TeleZüri, TeleOstschweiz und TeleBärn ausgestrahlt wird, ging es dann vor allem, wie die Corona-Krise aus Sicht der Hotellerie und Gastronomie beleuchtet wird. „Machen Sie Ferien in der Schweiz“ lautet das Credo – die einheimische Tourismus-Branche leidet.
In der Reportage wird aufgezeigt, wie eine Brauerei und ein Hotel den Schutzmassnahmen gerecht werden. Anschliessend folgt der Talk mit Andreas Züllig, dem Präsidenten von hotelleriesuisse, und mir, der in der Sendung als Reisebüroinhaber aus Neuhausen am Rheinfall vorgestellt wird. Man könnte mich als Antipode dazu sehen, ich bin derjenige, der die Reisewillige Kundschaft ins Ausland schickt und der Schweizer Wirtschaft damit Geld wegnimmt. 10 Minuten lang dauert der Talk, der hier ab ca. Minute 8:00 angeschaut werden kann:
10 Minuten sind eigentlich ganz schön lange. Aber es reicht natürlich nie dafür aus, was man eigentlich sonst noch alles hat sagen wollen..
Darum gibt es hieran dieser Stelle eine Ergänzung von mir zu den gestellten Fragen aus dem Talk:
– Wie haben Sie den Corona-Lockdown erlebt?
Die Rückführungen haben uns 24/7 auf Trab gehalten, wir haben auch Internet-Kunden bedient, welche die Airlines nicht mehr telefonisch erreichen konnten oder den Angaben des Internets nicht mehr Glauben schenken konnten. Ich stelle mir die Frage, was passiert wäre, wenn es die Reisebranche aus Reisebüros und Reiseveranstaltern nicht mehr gegeben hätte, wie es von gewissen Kreisen noch vorausgesagt wird. Die Reisebranche war auch diejenige, die ihre Kunden bei den grössten Krisen wie Groundings, Tsunami, Vulkanausbrüchen zur Seite gestanden ist, und der Bund hätte weitaus mehr Geld für Repatriierungsflüge ausgeben müssen. Die Reisebranche ist damit also auch Systemrelevant und definitiv risikoerprobt.
Als Folge von Corona sind wir als Reisebüro nun weitgehend mit Annullationen und Umbuchungen beschäftigt, „nicht arbeiten“ geht also nicht und wir blieben für unsere Kunden immer erreichbar. Wir kümmern uns um die Rückabwicklung des Geschäfts, für das wir seit ca. August 2019 gearbeitet haben. Pandemie ist in der Reisebranche ein Betriebsrisiko, es gibt keine Versicherung dieser Welt, welche unseren Ertragsausfall bezahlt.
– Was erwarten Sie von der Öffnung der Grenzen zu Deutschland?
Dass wir Kunden aus dem süddeutschen Raum haben, ist doch der Beweis dafür, dass auch wir Konkurrenz-fähig sind..? Der Einkaufstourismus wird wieder Einzug halten und so auch der Buchungstourismus. Sicherheit spielt nach Corona eine Rolle, der Preis aber auch. Wegen der Preis-Debatte verliert das Schweizer Gewerbe in Grenznahen Regionen an Einnahmen. Wir als Reisebüro Sulzberger können die Pauschalangebote von deutschen Veranstaltern ja auch anbieten. Warum nicht mal einen screen-shot aus dem Internet machen und uns fragen, ob wir das auch anbieten können? Leider werden wir in der Regel zuerst um eine Offerte gefragt, welche dann im Internet oder im Deutschen Reisebüro querverglichen wird. Die Preisdynamik verunmöglicht schon beinahe eine Offerte zum „Best Price“, allerdings werden auch ehrlicherweise manchmal Äpfel mit Birnen verglichen (jeder will den anderen irgendwie unterbieten – das nennt sich wohl Marktwirtschaft). Unser Budget um Inserate aufzuschalten („gleiche Preise wie ennet der Grenze“) ist leider begrenzt.
Ich wünsche mir hier mehr Engagement von Schweizer Grosskonzernen. Dass eine 10’000- Einwohner-Gemeinde wie Neuhausen am Rheinfall, wo wir seit 35 Jahren ein unabhängiges Reisebüro führen, keine Migros mehr hat, hat doch auch damit zu tun, dass sie sich auf den Preiskampf gar nicht mehr einlässt oder einlassen will..? Unter einer solchen Haltung leiden folglich auch die örtlichen KMUs. Wir als Reisebüro sind auch Teil davon und in der Grenzregion umso stärker betroffen. Fast 30 Jahre lang stand unser Ladengeschäft der örtlichen Migros gegenüber, ein Lebensnerv der Gemeinde. Nun wird sie abgerissen. Was uns in der Zwischenzeit bleibt, ist Baulärm und entscheidend weniger Kunden-Frequenz.
– Was bringt es mir als Kunde, wenn ich in der Schweiz buche und nicht im Ausland?
Neben dem rechtlichen Standort Schweiz und dem Erhalt von Arbeitsplätzen braucht man für folgendes kein Wirtschaftsprofessor zu sein: Einkauf ūber lokalen Fachhandel = Steuern für Bund, Kanton und Gemeinde. Einkauf ūber www mit Steuersitz ennet der Grenze oder noch viel weiter weg = keine Steuern fūr Bund, Kanton und Gemeinde.
Das gilt ja nicht für Reisen sondern eigentlich für sonst so ziemlich alle Konsumgüter.
Bucht man z.B. ein Hotel über booking.com fliesst dieses Geld an den Steuersitz dieses Unternehmens (also nach Holland), und die Wertschöpfungskette in der Schweiz ist unterbrochen. Wird ein Hotel über ein Schweizer Reisebüro gebucht, so wird der Umsatz daraus ja auch als Steuergrundlage bewertet. Und im Leben muss ich halt als natürliche und juristische Person nur 2 Dinge tun: sterben und Steuern zahlen.
– Was bringt der Tourismus der lokalen Wirtschaft? Wie berücksichtigt Ihr Reisebüro lokale Anbieter?
Ich bin Tourismus-Fan, denn für mich ist folgendes stimmig und richtig: was will ein Tourist überhaupt? Ein Safari-Tourist möchte Tiere in ihrem ursprünglichen Habitat beobachten, ein Badeferien-Tourist möchte sauberes Wasser und einen schönen Strand ohne Plastikmüll vorfinden und der touristische Wanderer möchte doch auch nichts anderes als eine intakte Natur vor sich sehen. Tourismus hilft der Natur, sich in Szene zu setzen und das tut sie auch mit den KMUs. Wozu reist ein Tourist denn? Um Neues und Fremdes zu erleben, er will doch die kleinen Restaurants und Lädelis vor Ort sehen und erleben. Tourismus braucht genau deswegen die KMUs und sicher gilt dies irgendwohin auch umgekehrt. Ich persönlich reise nicht, um in einer anderen Stadt den nächsten Starbucks oder H&M aufzusuchen. Die Wirtschaft sollte also ein ureigenes Interesse haben, diese Dinge in Wert zu setzen und als lokaler Unternehmer tun wir dies auch mit unserem lokalen Team (welche alle entweder im Kanton Schaffhausen geboren, aufgewachsen oder wohnhaft sind) dem Sponsoring lokaler Vereine und einer möglichst ganzheitlichen Berücksichtigung lokaler Firmen beim Materialeinkauf. Übrigens bin ich auch selber in Neuhausen am Rheinfall wohnhaft und kaufe selbstverständlich auch privat hier ein.
Und wie man gesehen hat, verkauft ja auch das Schweizer Reisebüro die Schweiz. Totaler könnte die Wertschöpfungskette also nicht sein.
– Wie kann der Tourismus in der Schweiz langfristig überleben?
Siehe oben. Tourismus soll authentisch sein, aber gleichzeitig natürlich auch den Qualitätsansprüche von Gästen gerecht werden. Reisen soll dabei nicht günstig (geschweige denn billig) oder teuer sein sondern einfach einen Wert haben.
Unserem Team, unseren Kunden, unseren Partner und Lieferanten an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank, damit wir auch weiterhin so arbeiten können, wie wir es auch bisher getan haben.